Meine Gremien: Teilchenbeschleuniger FAIR in Darmstadt weiter bauen? – Wie dabei helfen, Boko Haram in Nigeria zu bekämpfen?

Meine Gremien: Teilchenbeschleuniger FAIR in Darmstadt weiter bauen? – Wie dabei helfen, Boko Haram in Nigeria zu bekämpfen?

Forschungsausschuss: Was tun, wenn hohe Kostensteigerungen wie bei FAIR den Vollausbau von großen Forschungsanlagen unmöglich machen?

Im Forschungsausschuss ging es für mich als Berichterstatter um die Frage, ob und wie der im Aufbau befindliche Teilchenbeschleuniger FAIR in Darmstadt angesichts erneuter immenser Kostensteigerungen weiter gebaut werden soll. In dieser Technologie sind wir aktuell weltweit führend – deshalb stehen bei dieser Frage auch der gute Ruf und die Zukunftsfähigkeit unseres Innovationsstandorts auf dem Spiel.

Im Ausschuss habe ich die Vertreter des Forschungsministeriums zum weiteren Ausbau von FAIR befragt,
Foto: Screenshot Parlaments-TV.

Das Weltall im Labor

2019 hatte ich FAIR-Baustelle selbst schon einmal besucht und mich über die Chancen und Herausforderungen informiert. Damals waren alle noch sehr optimistisch – mit gutem Grund.

Denn mit FAIR – Facility for Antiproton and Ion Research – soll Materie im Labor erzeugt und erforscht werden, wie sie sonst nur im Weltall vorkommt. Davon erwartet man sich neue Erkenntnisse über den Aufbau der Materie und die Entstehung des Universums, außerdem neue Möglichkeiten für die Herstellung neuer Materialien und für die Tumortherapie mit hochintensiven geladenen Teilchen. Künftig sollen rund 3.000 Wissenschaftler aus 50 Ländern dort forschen und ihre Erkenntnisse austauschen.

2010 hatten sich neun Länder vertraglich verpflichtet, sich am Aufbau und an den Kosten von FAIR zu beteiligen, darunter auch Russland und Indien. Schon der Baubeginn 2017 hatte sich aber verzögert, es kam mehrfach zu deutlichen Kostensteigerungen und zur Verschiebung der vorgesehenen Inbetriebnahme.

Letzter Stand: Kein FAIR-Vollausbau möglich

Wegen der jüngsten Krisen und insbesondere wegen des Ukrainekriegs, der die Zusammenarbeit mit Russland bei FAIR unmöglich gemacht hat, sind die Kosten erneut in die Höhe geschnellt und müssen neu verteilt werden. Der Vollausbau von FAIR ist deshalb zumindest vorerst leider nicht zu finanzieren.

Das BMBF und das Land Hessen haben jedoch entschieden, FAIR vorerst bis zur ersten Ausbaustufe First Science weiterzubauen, denn ab dieser Stufe ist mit wirklich neuen Erkenntnissen in der Schwerionenforschung zu rechnen ist.

Dafür sollen noch einmal mindestens rund 518 Mio. Euro bereitgestellt werden. Das Ziel soll 2028 erreicht werden.

Kann FAIR mit First Science langfristig wettbewerbsfähig sein?

Die Frage ist: Kann FAIR auf dieser Grundlage langfristig wirklich international konkurrenzfähig sein? Gutachter bezweifeln das und sagen, das ist nur beim Vollausbau von FAIR möglich. Denn besonders die Chinesen, aber auch andere Staaten, bauen an ähnlichen Großforschungseinrichtungen und könnten uns auf der Stufe First Science schon 2026 überholen.

Wenn wir den FAIR-Ausbau allerdings jetzt stoppen sollten, würde das fast genauso teuer wie die Ausbaustufe First Science.

Damit FAIR kein Milliardengrab wird, dürfen wir auf der First Science-Stufe jedenfalls nicht stehenbleiben und müssen mit unseren internationalen Partnern weiter nach Lösungen für den Vollausbau von FAIR suchen.

Fragen zur Roadmap für Forschungsinfrastrukturen

Die Entwicklung bei FAIR warf auch weitere Fragen zur realistischen Bewertung der Projekte auf, die ebenfalls durch die Roadmap für Forschungsinfrastrukturen, kurz FIS-Roadmap, finanziell abgesichert sind.

Große Forschungsanlagen wie FAIR, andere Teilchenbeschleuniger, Fusionsanlagen, Satellitensysteme oder Forschungsschiffe sind entscheidend für unsere Innovationsfähigkeit und für die Bewältigung großer globaler Herausforderungen wie Klimawandel und Energiewende.

Deshalb hatte die unionsgeführte Bundesregierung bereits 2011 das FIS-Roadmap-Verfahren initiiert, um exzellente nationale und internationale Forschungsanlagen zu identifizieren, um ihre Finanzierung langfristig zu priorisieren, um Fehlinvestitionen zu minimieren und um Technologieentwicklungen und Innovationen gezielt voranzutreiben.

Aktuell steht die Aufnahmeprüfung von 20 neuen Forschungsinfrastrukturen an, darunter das hochsensible Einstein-Teleskop, das deutsche, belgische und niederländische Institute gemeinsam in der Grenzregion bei Aachen bauen wollen.

 Luftaufnahme vom Oktober 2022: Seit meinem Besuch 2019 sind große Fortschritte auf der Baustelle des neuen internationalen Beschleunigerzentrum FAIR beim Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung GSI in Darmstadt zu sehen — aber dennoch geht der Bau zu langsam voran – Foto: © D. Fehrenz, GSI/FAIR

Menschenrechtsausschuss: Wie können wir helfen, die Ausbreitung von Boko Haram in Nigeria einzudämmen?

Zur Bekämpfung der Fluchtursachen und Krisenbewältigung weltweit müssen wir uns auch die Lage in einigen afrikanischen Ländern genauer anschauen, z.B. in Nigeria, der größten Volkswirtschaft und dem wichtigsten Ölproduzenten des Kontinents.

Nigeria ist den meisten sicher vor allem durch die guten Fußballspieler, durch die Rückgabe der Benin-Bronzen, aber auch durch die Terrormiliz Boko Haram bekannt, die seit Jahren schwere Verbrechen verübt.

Im Menschenrechtsausschuss habe ich als Berichterstatter das Auswärtige Amt nach der Ausbreitung von Boko Haram befragt, und wie Deutschland dem Land helfen kann, die Terrorgefahr zu bekämpfen und die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung im Land zu stabilisieren.

Hier stelle ich gerade meine Fragen an die Vertreter des Auswärtigen Amtes zu Boko Haram, Foto: Screenshot Parlaments-TV

Nigeria steht von enormen Herausforderungen

Trotz wirtschaftspolitischer Reformen und der Rückkehr zur Demokratie ist es der Regierung Nigerias bisher nicht gelungen, den Rohstoffreichtum für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes zu nutzen.

Die Inflation liegt aktuell bei rund 22%. Hinzu kommen Devisenmangel, Knappheit bei Sprit und Strom, Korruption, schlechte Sicherheitslage in allen Teilen des Landes, hohe Kriminalität besonders im Nordwesten, 3,3 Mio. Binnenvertriebene aufgrund von Krisen, Terror, Dürre, Überschwemmungen. Der humanitäre Bedarf lag 2022 bei 1,1 Mrd. US-Dollar.

Terrorgefahr: „Boko Haram“ heißt „Westliche Bildung ist Sünde“

Besonders im muslimisch geprägten Nordosten des Landes herrscht brutale Gewalt. Dschihadisten von Boko Haram und Splittergruppen wie dem IS Provinz Westafrika ISWAP kämpfen dort seit 14 Jahren für einen eigenen Staat. Durch den Konflikt wurden nach UN-Angaben seit 2009 mehr als 40.000 Menschen getötet und rund 2 Mio. Menschen vertrieben. Über 25.000 Personen werden vermisst, davon 14.000 Kinder. Der bekannteste Fall war die Entführung von 276 Schülerinnen im Jahr 2014.

Seit dem Tod des Boko Haram-Anführers Shekau Mitte 2022 gilt Boko Haram jedoch als geschwächt. Inzwischen haben sich 100.000 Boko Haram-Kämpfer, Familienangehörige und Bauern aus den besetzten Gebieten der Regierung gestellt und nehmen an Reintegrationsmaßnahmen teil – was viele überlebende Opfer in der Bevölkerung allerdings nicht positiv sehen.

Deutsches Engagement zur Stabilisierung und Entwicklung

Die Wiedereingliederung ehemaliger Boko Haram-Kämpfer wird auch von Deutschland, der der EU und weiteren westlichen Ländern unterstützt. Außenministerin Baerbock hat bei ihrem kürzlichen Besuch in Nigeria ein Wiedereingliederungslager besucht.

Besonders die Tschadsee-Region im Nordosten ist ein Schwerpunkt des deutschen Engagements zur Stabilisierung des Landes. 2022 hat der Bund 87 Mio. Euro an humanitärer Hilfe für die Region bereitgestellt.

Für die nächsten zwei Jahre unterstützt Deutschland in Nigeria außerdem das nachhaltige Wachstum sowie die berufliche Bildung und Erwerbstätigkeit besonders von Frauen mit 100 Mio. Euro.

Flagge Nigaerias, Foto: Jorono/Pixabay

Neue Probleme durch ISWAP

Gleichzeitig stoßen aber Kämpfer des IS Provinz Westafrika ISWAP und andere Dschihadisten in die Lücken vor, die Boko Haram hinterlässt.

Boko Haram und der IS haben sich auch z.B. besonders im Nachbarland Niger ausgebreitet und brennen dort ganze Dörfer nieder. Viele Menschen dort unterstützen die Terrorgruppen, um ihr Leben zu schützen und ihren Lebensunterhalt zu sichern. Das wirft neue Probleme auf.

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Was mir diese Woche noch wichtig war:

Wir fordern von der Ampel:

  • endlich eine Nationale Sicherheitsstrategie vorzulegen, denn wir müssen – ebenso wie andere Staaten es längst tun – einen Nationalen Sicherheitsrat einrichten, Gefahren vorausschauend identifizieren, konkrete Maßnahmen zur Gefahrenabwehr benennen und Risiken minimieren, wenn wie der Zeitenwende gerecht werden wollen;
  • eine gesetzliche Regelung, um den Export von Kohlendioxid aus Deutschland z.B. nach Norwegen oder Dänemark zu ermöglichen und das Kohlendioxid im tiefen Meeresgrund unterirdisch zu speichern, denn anders ist es auch laut Weltklimarat IPPC nicht möglich, unvermeidbare Restemissionen zu minimieren und das 2-Grad-Ziel des Pariser Klimaübereinkommens zu erreichen;
  • ein „Sonnenpaket für Deutschland“, mit Maßnahmen zum schnelleren Ausbau der Solarenergie, weil die Ampel das bei ihrem Osterpaket im letzten Jahr kaum adressiert hat.

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Infos zu allen Debattenpunkten:

finden Sie wie immer hier und in den Plenarprotokollen.