Jedes Jahr erneut spannend: Wie schätzen die Gutachter der Expertenkommission Forschung und Innovation EFI den Innovationssandort Deutschland ein?
Im Forschungsausschuss haben wir deshalb den EFI-Vorsitzenden Prof. Dr. Uwe Cantner und sein Team zu den Ergebnissen und Empfehlungen aus dem neuen EFI-Gutachten 2024 befragt.
Durchwachsenes Urteil – viele Hausaufgaben für die Ampel
Ihr Urteil über unsere technologische Leistungsfähigkeit: durchwachsen.
Viele kurzfristige Maßnahmen sind gut, aber der Ampel fehlt eine Vision dafür, wo Deutschland in 30 Jahren stehen soll.
Die Forschung kommt auch im Wachstumschancengesetz zu kurz.
Die Gutachter mahnen in jeder Hinsicht Technologieoffenheit an.
Die Politik soll nur katalytisch eingreifen, notwendige Veränderungen z.B. bei der Energiewende sozial abfedern, innovationsfreundliche Rahmenbedingungen setzen, aber keine Entwicklungspfade vorschreiben.
Um die Fördermaßnahmen besser evaluieren und effizient anpassen zu können, muss schon beim Design der Maßnahmen die entsprechende Datenerhebung und -auswertung mitgedacht werden.
Das Team der EFI-Kommission bei der Vorstellung des EFI-Gutachtens 2024 im Forschungsausschuss
Schwachstellen haben wir insbesondere bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, sozialen Innovationen und einer nachhaltigen Landwirtschaft, aber auch beim Wettbewerb um die besten Köpfe.
Künstliche Intelligenz braucht starke Ökosysteme:
Deutschland und die EU fallen bei KI zurück. Aber allen Unkenrufen zu Trotz ist laut EFI das Rennen um die KI noch offen. Da wir in Deutschland und Europa keine Global Player wie Google oder Amazon haben, müssen wir uns hier darauf konzentrieren, optimale Bedingungen für die Entwicklung eines Ökosystems zu schaffen, in dem innovative Mittelständler und Startups Hand in Hand an neuartigen KI-Anwendungen arbeiten, Use Cases und Rechenkapazitäten entwickeln, und in dem die Nutzung von Big Data kein beschränkender Faktor ist. Auch die KI-Grundlagenforschung muss gestärkt werden. Mehr Fachkräfte und Beratung von Mittelständlern zur KI-Anwendung sind ebenfalls gefragt.
Soziale Innovationen besser fördern:
Car-Sharing ist sicher jedem ein Begriff. Weil aber ansonsten unter sozialen Innovationen jeder darunter etwas anderes versteht, haben die EFI-Gutachter jetzt einmal genauer definiert, was soziale Innovationen eigentlich sind. Um „neue Organisationsformen und Verhaltensänderungen zur Lösung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Herausforderungen“ wie Energiewende, Digitalisierung, Wirtschaften in Kreisläufen oder nachhaltige Landwirtschaft zu unterstützen – nicht vorzuschreiben-!, brauchen wir auch hier eine systematische Datengrundlage, digitale Plattformen, Vernetzungsstrukturen und Finanzierungsformen, die bei der Verbreitung helfen. Wichtig ist es, auch technologische Förderprogramme für soziale Komponenten zu öffnen.
Smart Farming und grüne Gentechnik ein Muss:
Um Ursachen und Folgen des Klimawandels in den Griff zu bekommen, müssen wir auch unsere Lebensmittel nachhaltiger produzieren und die Digitalisierung der Landwirtschaft voranreiben. Innovative Lösungen für eine Präzisionslandwirtschaft gibt es bereits, sind aber noch viel zu teuer. Um ihnen zum Durchbruch zu verhelfen, könnte eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel und künstliche Düngemittel wie in Dänemark hilfreich sein.
Gleichzeitig müssen wir auch sichere Methoden der grünen Gentechnik nutzen, um unsere Nutzpflanzen so schnell wie möglich an den Klimawandel anzupassen. Um Bedenken in der Bevölkerung zu zerstreuen, sind eine klare Regulierung auf der Ebene des Produkts und mehr Aufklärung notwendig.
Wettbewerb um die besten Köpfe verstärken
Wie Prof. Cantner berichtete, kommt jeder dritte IT-Spezialist im Silicon Valley aus Deutschland, weil es dort attraktivere Bedingungen und mehr Geld für Forschung und Innovation als bei uns gibt. Auch wenn inzwischen auch wieder mehr Forscher nach Deutschland kommen: Das Saldo ist immer noch negativ. Wir müssen die internationale Mobilität bei Forschung und Innovation deshalb weiter verbessern und die Fachkräftezuwanderung erleichtern.
Die Maßnahmen der Ampel zur Internationalisierung der Wissenschaft bleiben auch aus Sicht
meiner Fraktion bisher lückenhaft, wie auch die kürzliche Expertenanhörung im Forschungsausschuss zu diesem Thema festgestellt hatte. Auch die Pläne der Ampel zur Verbesserung lassen noch viele Fragen offen. Insbesondere kritisieren wir, dass die Förderung der Alexander-von-Humboldt-Stiftung gekürzt wird. Dadurch können weniger Stipendien an talentierte wissenschaftliche Nachwuchskräfte aus dem Ausland vergeben werden. Das ist kontraproduktiv.
Auch die Verfahren zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und die Visaverfahren zur Einreise der Fachkräfte müssen dringend vereinfacht, digitalisiert und beschleunigt werden, wie ich im jetzt Ausschuss – und schon letzte Woche im Plenum – bei der Diskussion zum Anerkennungsgesetz 2023 angemahnt habe.
Bei meinen Fragen an den BMBF-Staatssekretär zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse
Die ganze Ausschuss-Sitzung können Sie wie immer hier in der Mediathek nachverfolgen.
Longcovid-Forschung besser fördern – unbefriedigende Antworten der Ampel auf unsere Große Anfrage:
Am Freitag war LongCovidAwarenessDay. Viele Betroffene haben vor dem Reichstag demonstriert, weil es noch immer keine wirksamen Therapien gegen diese leidbringende Krankheit gibt.
Fotos von Betroffenen vor dem Bundestag am LongCovidAwareness Day
2,5 bis 3 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter den Spätfolgen einer Corona-Infektion – darunter auch seit inzwischen zwei Jahren der frühere Referent unserer Forschungs-AG, ein Mann in den besten Jahren, fit, gesund und sportlich. Er konnte seine Arbeit bis heute nicht wieder aufnehmen. Das kann jeden treffen.
Wir müssen diesen Betroffenen endlich wieder eine Perspektive geben. Deshalb haben wir am LongCovidAwarenessDay unsere Große Anfrage zur Longcovid-Forschung auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt.
Wir kritisieren, dass die Ampel-Regierung die Forschung dazu vernachlässigt. Die Antworten der Ampel auf unsere Große Anfrage dazu haben nur wenig Licht ins Dunkel gebracht, wie wir in der Debatte klargestellt haben.
Der gute Wille mag da sein – aber es fehlt an Taten. Wir dürfen die Betroffenen nicht im Stich lassen und brauchen endlich eine groß angelegte Forschungsoffensive zur Entwicklung von neuen Wirkstoffen gegen LongCovid.
Mehr dazu in den Reden meiner AG-Kollegen Thomas Jarzombek und Stefan Albani.